Islam – Soziale Gerechtigkeit

Es ist gegen die Absicht des Islam, dass sich dieser Wirtschaftswettbewerb in einer Atmosphäre kühler Unparteilichkeit, moralischer Neutralität und gesellschaftlicher Apathie abspielt. Vielmehr wird es als wünschenswert erachtet, dass die Teilnehmer am wirtschaftlichen Wettbewerb aufeinander Rücksicht nehmen und höflich zueinander sind.
Einerseits trachtet der Islam danach, durch seine ethisch fundierten Verfügungen auf das Entstehen eines Gefühls gegenseitiger Liebe und Zuneigung unter den Menschen hinzuwirken, damit den Schwachen und den Erwerbsunfähigen unter ihnen geholfen werde. Gleichzeitig aber wird auch die Schaffung einer permanenten Institution in der Gesellschaft angestrebt, um denjenigen Hilfe und Unterstützung zu garantieren, denen es am notwendigen Lebensunterhalt fehlt.
Menschen, die nicht imstande sind, am Wirtschaftswettbewerb teilzunehmen, sollten ihren Anteil von dieser sozialen Institution beziehen. Und diejenigen, die Unterstützung brauchen, um in den Wettbewerb auf wirtschaftlichem Gebiet überhaupt eintreten zu können, sollten sie ebenfalls in vollem Umfang von dieser Institution erhalten.
Zu diesem Zweck wurde im Islam das Gesetz erlassen, dass auf das gesamte vorhandene Vermögen im Lande ebenso wie auf das investierte Kapital eine Zakat-Abgabe von jährlich 2 %2 Prozent zu erheben ist; 5-10 Prozent sind vom landwirtschaftlichen Ertrag, 20 Prozent von bestimmten mineralischen Produkten zu entrichten. Die jährliche Zakat-Abgabe ist ebenfalls in einer bestimmten Höhe für Viehherden einzuziehen, sofern ihre Kopfzahl über ein bestimmtes Minimum hinausgeht.
Der so gesammelte Zakat-Betrag ist zur Unterstützung der Armen, der Waisen und der Mittellosen bestimmt. Dies stellt eine Form von Sozialversicherung dar, durch deren Hilfe in einer islamischen Gesellschaft niemand das Lebensnotwendige zu entbehren braucht.
Kein Arbeiter kann aus Furcht vor dem Verhungern dazu gezwungen werden, Arbeitsbedingungen hinzunehmen, die ihm von einem Industriellen oder Großgrundbesitzer zu seinem Nachteil diktiert werden. Auch kann der Gesundheitszustand keines Menschen aufgrund von Mangel an richtiger medizinischer oder stationärer Behandlung unter einen bestimmten Mindeststandard abfallen.
Was die Stellung des einzelnen gegenüber der Gesellschaft betrifft, so wird im Islam eine Ausgewogenheit angestrebt, die zwar die individuelle Freiheit jedes Menschen fördert, gleichzeitig aber sicherstellt, daß diese Freiheit sich nicht nachteilig auf die Interessen der Gemeinschaft als Ganzes auswirkt, sondern ihrem Wachstum und ihrer Ruhe und Ordnung zuträglich ist.
Der Islam billigt keine politische oder wirtschaftliche Organisation oder Ordnung, deren Ziel es ist, die Identität des einzelnen in der Gemeinschaft aufgehen zu lassen und ihn so der für eine richtige Entfaltung seiner Persönlichkeit und Fähigkeiten notwendigen Freiheit zu berauben. Die unvermeidliche Folge der Verstaatlichung sämtlicher Produktionsmittel eines Landes ist die Zerstörung des einzelnen durch die Gemeinschaft. Unter solchen Umständen wird der Fortbestand und die Entwicklung der Individualität des einzelnen äußerst schwierig, wenn nicht gar eine Unmöglichkeit.
Ebenso wie für den einzelnen die politische und soziale Freiheit eine unabdingbare Notwendigkeit ist, ist wirtschaftliche Freiheit für ein kultiviertes, ethisch fundiertes Dasein unerläßlich. Wenn wir die Individualität des Menschen nicht völlig zunichte machen wollen, muß unser gesellschaftliches Leben ausreichend Spielraum haben, damit der einzelne ungehindert seinen Lebensunterhalt verdienen kann, seine Gewissensfreiheit aufrecht zu erhalten vermag und imstande ist, seine ethischen und intellektuellen Fähigkeiten entsprechend seinen eigenen Neigungen und Begabungen zu entfalten.
Von Erwerbslosenunterstützung oder den milden Gaben anderer zu leben, kann nicht sehr befriedigend sein, selbst wenn diese reichlich bemessen sind, weil die Verlangsamung der moralischen und spirituellen Entwicklung, zu der das unweigerlich führt, nie durch bloßes körperliches Wohlbefinden und Annehmlichkeiten, die überdies zweifelhaft sind, ausgeglichen oder aufgewogen werden kann.
Ebenso wie der Islam ein solches System nicht gutheißt, ist er auch nicht für ein soziales System, das den einzelnen ungezügelte wirtschaftliche und gesellschaftliche Freiheit gewährt und ihnen einen Blankoscheck dafür ausstellt, dass sie ihre individuellen Interessen durchsetzen und ihr Ziel selbst auf Kosten des Wohls der Gemeinschaft als Ganzes verfolgen oder durch Ausbeutung und Unterschlagung des Eigentums anderer verwirklichen.
Zwischen diesen beiden Extremen hat der Islam einen goldenen Mittelweg eingeschlagen, demzufolge der einzelne zunächst einmal aufgefordert wird, im Interesse der Gemeinschaft bestimmte Beschränkungen auf sich zu nehmen, woraufhin ihm dann freie Hand bei der Regelung seiner eigenen Angelegenheiten gelassen wird.
Er genießt Unternehmens- und Wettbewerbsfreiheit innerhalb eines Rahmens, der das Wohl des einzelnen wie auch der Gesellschaft garantiert. Es ist hier nicht möglich, diese Verpflichtungen und Beschränkungen in allen Einzelheiten zu erläutern, darum werde ich mich mit der Darstellung der bloßen Umrisse begnügen.

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